Medienmitteilung

Verhandlungen zu Plastikabkommen: Wirksames Abkommen gegen die Plastikflut bleibt erreichbar

20. November 2023

Am Sitz der UNEP in Nairobi endete gestern kurz vor Mitternacht die dritte Verhandlungsrunde (Intergovernmental Negotiating Committee, INC-3) für ein globales Übereinkommen gegen die Plastikverschmutzung. Trotz einer Initiative in letzter Minute konnten sich die UNO-Mitgliedstaaten nicht auf ein Mandat für weitere Arbeiten zwischen den INC-Sitzungen einigen, was den Verhandlungsprozess verlangsamt. Da nur noch zwei Verhandlungsrunden verbleiben, appellierte OceanCare an die Regierungen, ihre Ziele aufrechtzuerhalten und im Blick zu behalten, was auf dem Spiel steht. Ein effektives, ambitioniertes und global rechtsverbindliches Plastikabkommen ist notwendig, um die Plastikproduktion zu drosseln und die steigende Plastikflut einzudämmen.

Nach sieben Verhandlungstagen, die oft bis weit in den Abend dauerten, ging die dritte Verhandlungsrunde zu einem globalen Abkommen gegen die Plastikverschmutzung am Sonntagabend zu Ende. OceanCare war vor Ort und zieht folgende Bilanz:

Wichtigste Ergebnisse und Herausforderungen

  • Die Mitgliedstaaten verpassten die Gelegenheit, zwischen den Verhandlungsrunden das gemeinsame Arbeiten an wichtigen Themen zu ermöglichen, darunter die Entwicklung von Zielvorgaben, Referenzwerten und Zeitplänen für eine Gesamtverringerung der Plastikproduktion sowie klare Mechanismen zur Berichterstattung, damit die Einhaltung eines globalen Plastikverringerungsziels kontrolliert werden kann.
  • Die Einflussnahme der petrochemischen Industrie und kunststoffproduzierender Länder untergräbt wesentliche Fortschritte bei Massnahmen zur Verringerung der Plastikproduktion.
  • Viele Staaten, insbesondere kleine Inselentwicklungsländer und die Gruppe afrikanischer Länder, setzten sich vehement für Bestimmungen ein, die Produktion von Primärkunststoffen zu begrenzen, bedenkliche Chemikalien ins Visier zu nehmen und den Schutz von Mensch und Umwelt gleichermassen zu fördern. Sie wurden jedoch von plastikproduzierenden Ländern überstimmt, die wenig Ambitionen für derartige Massnahmen zeigten.
  • Positiv ist der Beschluss eines Mandats zur Überarbeitung des Vertragsentwurfs bis zur nächsten Verhandlungsrunde.
  • Die Zivilgesellschaft vertretende Organisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler appellierten an das Sekretariat, entschlossen gegen Interessenskonflikte vorzugehen, welche offene und faktenbasierte Verhandlungen behindern.
  • Obwohl ein Mandat für Arbeiten zwischen den Verhandlungsrunden fehlt, gab es in vielen Regionen breite Unterstützung für ein Vorantreiben der Arbeit an Bestimmungen zu Fischereigeräten für ds künftige Abkommen.

Hintergrund

Fischereigeräte

Die Bereitschaft, Fischereigeräte umfassend zu regulieren, zog sich als roter Faden durch die INC-3. Viele Delegationen sprachen sich für eine engagierte intersessionale Arbeit zu diesem Thema aus. Die Mitgliedstaaten betonten die Notwendigkeit, Fischereigerät in Bezug auf dessen gesamten Lebenszyklus zu erfassen und nicht nur sobald es zu Abfall wird.

„Fischereigerät ist für das Meer und seine Bewohner die mit Abstand gefährlichste Form von Plastikverschmutzung. Da die Regulierung und die Reduzierung von Plastik an der Quelle von zentraler Bedeutung sind, erachte ich die Fortschritte an dieser Front als ermutigend, bedaure aber, dass keine Einigung über eine Arbeit zwischen den Verhandlungsrunden erzielt wurde. Damit verlieren wir wertvolle sechs Monate Arbeitszeit. Angesichts der breiten Unterstützung vieler Mitgliedstaaten fordern wir von den Regierungen nun den Entwurf umfangreicher Massnahmen, die im künftigen Vertrag den gesamten Lebenszyklus von Fischereigerät berücksichtigen“, sagt Fabienne McLellan, Geschäftsführerin und Leiterin des Kunststoffprogramms bei OceanCare.

Im Vorfeld der INC-3 organisierten OceanCare und die Environmental Investigation Agency (EIA) einen Side Event zur entscheidenden Rolle, die das Plastikabkommens bei der Eindämmung der Problematik von Fischereigerät spielt. Der Anlass beleuchtete das Thema aus den Perspektiven und Erfahrungen verschiedener Länder und war gut besucht.

Konferenzdynamik

Der Konferenzstart verlief erfreulich. An einer tägigen Vorkonferenz berieten die Mitgliedstaaten am Samstag, 11. November Aspekte, die während der zweiten Verhandlungsrunde (INC-2) nicht erörtert worden waren, darunter der Geltungsbereich und die Grundsätze des Abkommens. Der für Zusammenarbeit, Kompromiss und Engagement stehende „Geist von Nairobi“ prägte auch die Verhandlungen der ersten zwei Tage der eigentlichen Konferenz, die am Montag, 13. November begann. Als die Kontaktgruppen ihre Arbeit aufnahmen verflüchtigte sich aber die Hoffnung, das „Gespenst von Paris“ – zwei volle Tage gingen damals für Verfahrensfragen verloren – gehöre der Vergangenheit an. Auf der Basis des vor der Konferenz vom Vorsitz veröffentlichten „Null-Entwurfs“ trafen sich in den darauf folgenden Tagen drei Kontaktgruppen. Sie erörterten inhaltliche Elemente sowie Mittel und Finanzierung zur Umsetzung des künftigen Instruments und diskutierten Anwendungsbereiche, Grundsätze und eine intersessionale Arbeit zur Vorbereitung der vierten Verhandlungsrunde (INC-4). Insbesondere die Debatte um eine mögliche intersessionale Arbeit verlor sich in langwierigen Diskussionen darüber, woran in den kommenden Monaten gearbeitet werden sollte und woran nicht. Einige Mitgliedstaaten – die sogenannte „Low Ambition Coalition“ – widersetzten sich unablässig, sobald es um sinnvolle vorgelagerte Massnahmen vor allem im Bereich der Primärkunststoffe ging, was dazu führte, dass keine Einigung über eine intersessionale Arbeit erzielt werden konnte.

Interessenkonflikt

Eine Analyse von Mitgliedern der Koalition BreakFreeFromPlastic (BFFP) ergab, dass 143 Lobbyisten der petrochemischen und der chemischen Industrie an der INC-3 teilnahmen. Die zunehmende Präsenz solcher Industrielobbyisten birgt die Gefahr, dass die Verhandlungen zugunsten der Konzerne und auf Kosten der Menschen und des Planeten beeinflusst werden. Besorgniserregend ist, dass einige Lobbyisten sogar Teil nationaler Delegationen waren und somit die Positionen von Staaten unmittelbar beeinflussen konnten. Ein solches Vorgehen untergräbt den demokratischen Prozess erheblich. Bereits in Paris hatten Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft die Sekretariate von UNEP und INC mit einer Petition dazu aufgefordert, den Verhandlungsprozess vor dem Einfluss der Industrie zu schützen. In Nairobi schloss sich eine breite Koalition von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dieser Forderung an. Sie riefen die UNEP dazu auf, eine starke Conflict of Interest Policy einzuführen. Es ist von grosser Bedeutung, dass dieses Anliegen ernst genommen wird.

„Die unkontrollierte Lobbypräsenz der petrochemischen Industrie muss im Vorfeld der nächsten Verhandlungsrunde, die im April 2024 in Ottawa stattfinden wird, grundlegend beleuchtet werden. UNEP sollte auf die berechtigte Forderung der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft eingehen und nicht zulassen, dass Lobbyisten mit am Tisch sitzen, die sich ausschliesslich für die Interessen jener Unternehmen stark machen, die einen Grossteil der Verantwortung für die aktuelle Plastikkrise tragen“, plädiert Ewoud Lauwerier, Plastic Policy Expert bei OceanCare.

Falsche Lösungen für die bestehende Plastikverschmutzung

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Diskussion um vermeintliche Lösungen für die bestehende Plastikverschmutzung, die den Status quo aber lediglich aufrechterhalten.

In einigen Interventionen wurde gefordert, die Konferenz solle sich auch den Massnahmen zur Beseitigung und Sanierung von Kunststoffaltlasten widmen. Auch hier waren es Organisationen aus dem Bereich der Entsorgungstechnologie, die ein Anliegen verfochten, von dem sie selbst finanziell profitieren würden. Im Vorfeld der INC-3 hatten OceanCare und EIA einen Bericht veröffentlicht, der deutlich macht, dass das Sammeln und Sanieren von Abfällen im Meer besondere Sorgfalt erfordert. Müllsammeltechniken können für betroffene Ökosysteme schädlich sein und sind zudem ineffizient und kapitalintensiv. Als End-of-Pipe-Technologien stoppen sie die Plastikverschmutzung nicht an der Quelle. Das Abkommen wird aber nur wirksam sein, wenn es in den vorgelagerten Bereichen ansetzt und sicherstellt, dass die Kunststoffproduktion zurückgeht, bedenkliche Chemikalien und Polymere ins Visier genommen werden und problematische sowie vermeidbare Kunststoffe nicht mehr auf den Markt kommen.

Verschiedene Länder forderten, dass das künftige Abkommen „innovative Finanzierung“ zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung in Betracht ziehen sollte. Die Finanzierung ist zwar ein zentrales Thema in den Diskussionen, solche „innovative Lösungen“ betreffen aber oft Ausgleichs- und Kompensationsmodelle. Wie bei der High-Tech-Müllsammlung können diese nicht als echte Lösungen gelten, um das Plastikproblem an der Wurzel zu packen. In einem an der INC-3 präsentierten Bericht zeigte die Koalition BreakFreeFromPlastic (BFFP) auf, dass solche Systeme schwerwiegende Mängel aufweisen. Ausgleichszahlungen für Plastik fördern das Verbrennen von Kunststoffen und unterstützen meist keine zusätzlichen Projekte.

„Die Verhandlungen sollten sicherstellen, dass sich das künftige Abkommen auf vorgelagerte Massnahmen wie eine Reduzierung der Plastikproduktion, die Begrenzung der Beimischung toxischer Chemikalien in Kunststoffen, die Förderung der Wiederverwendung von Plastik sowie die Verwendung ungiftiger Ersatzstoffe konzentriert. Massnahmen sollten darauf abzielen, den Plastikhahn zuzudrehen, nicht nur den Boden aufzuwischen, und sich nicht auf zweifelhafte Finanzierungen abstützen, die im Wesentlichen darauf abzielen, „business as usual“ zu betreiben“, so Lauwerier.

„Die Plastikverschmutzung ist ein komplexes Problem, für das es kaum schnelle Lösungen gibt. Die UNO hat die moralische Verpflichtung – und auch die Möglichkeit –, mit einem weitreichenden Plastikabkommen die Ursachen des Problems zu beseitigen. Selbst wenn wenig ambitionierte Länder die Verhandlungen noch stärker blockieren sollten, dürfen die Mitgliedstaaten das grosse Ziel nicht aus den Augen verlieren und in ihrem Ehrgeiz nicht nachlassen“, mahnt McLellan.

Ausblick

Die vierte Verhandlungsrunde (INC-4) findet von 21. bis 30. April 2024 in Ottawa, Kanada, statt; die fünfte Verhandlungsrunde (INC-5) von 25. November bis 1. Dezember 2024 in Busan, Republik Korea.

Gemäss dem Mandat, das an der fünften Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA 5.2) im März 2022 in Nairobi angenommen wurde, haben die Länder bis Ende 2024 Zeit, die Bedingungen für das rechtsverbindliche Plastikabkommen festzulegen.

Weiterführende Informationen

  • Clean-up or clean-washing? – Briefing von EIA und OceanCare zu Cleanup-Technologien
  • Untangled – Briefing von EIA, OceanCare, SPREP und University of Wollongong zu Fischereigerät