Medienmitteilung

Clean-Up oder Clean-Washing? Die Schattenseiten der Müllsammlung auf dem Meer

06. November 2023

Clean-Up-Technologien für das Meer verzögern die Ursachenbehebung der Plastikverschmutzung

Ein neuer Bericht von Environmental Investigation Agency (EIA) und OceanCare zeigt die schädlichen Auswirkungen von „Hauruck“-Technologien zur Reinigung des Meeres. Das bekannteste Beispiel: The Ocean Cleanup (TOC), dessen Methode sich als schädlich für die marine Tierwelt herausgestellt hat.

Der Bericht Clean-ups or clean-washing? gibt zentrale Empfehlungen für die im November in Nairobi stattfindende nächste Verhandlungsrunde der UNO über ein globales Plastikabkommen. EIA und OceanCare rufen die Verhandler dazu auf, den Schwerpunkt auf die Verringerung der Plastikproduktion zu legen und nicht auf Reinigungstechnologien, die kostspielig und umweltschädlich sein können und von echten Lösungen ablenken.

Bei den Verhandlungen wird es u.a. um Massnahmen gehen, welche die bestehende Plastikvermüllung adressieren, zusätzlich zu den nationalen Aktionsplänen gegen Plastikverschmutzung, insbesondere in Bezug auf die unverhältnismässige Müllbelastung der wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) und der kleinen Inselentwicklungsstaaten (SIDS). Umweltorganisationen fordern die Regierungen auf, vor allem bei der Quelle des Problems anzusetzen und die Plastikproduktion zu verringern, statt auf vermeintlich schnelle Lösungen zu setzen, die aber erhebliche negative Auswirkungen haben können.

Dazu zählen die immer populärer werdenden Geräte und Technologien, die Plastik aus dem Meer holen sollen. Es wurden 38 unterschiedlich ausgereifte Techniken beschrieben, die der Plastikkrise mit Drohnen, Robotern, Sandfiltern, Oberflächensaugern oder -rechen Herr werden wollen.

Jacob Kean-Hammerson, Ocean Campaigner der EIA sagt: „Wir dürfen uns von Clean-Up-Technologien nicht länger blenden und uns von tatsächlichen Lösungen nicht ablenken lassen. Es gilt vor allem Produktion und Verbrauch von Plastik zu vermindern.“

Auf den ersten Blick erscheinen diese Ansätze attraktiv, aber Umweltorganisationen und Forscher zeigen auf, dass sie genau jene Tierarten und Ökosysteme gefährden, die sie von der Plastiklast befreien wollen. Ausserdem können diese End-of-pipe-Ansätze jene politischen Massnahmen schwächen, die das Plastikproblem an der Wurzel packen sollen, nämlich bereits im Bereich von Produktion und Konsum von Plastik.

„Die Säuberungsmassnahmen am Ende des Lebenszyklus haben zwar in der Gesamtschau ihren notwendigen Platz, um der Plastikmüllkrise beizukommen“, sagt Kean-Hammerson, „aber bei den bevorstehenden Verhandlungen über das Plastikabkommen müssen Regierungen und Verhandler die Chance wahrnehmen, um sicherzustellen, dass es nicht bis in alle Ewigkeit Plastikmüll gibt, der aufgesammelt werden muss. Das Wohl der  Menschen und des Planeten müssen an die erste Stelle gesetzt werden“, so der Appell von Kean-Hammerson.

Ein Hauptproblem ist, dass sich Plastik und Meerestiere oft in denselben Gebieten ansammeln bzw. befinden. Im Great Pacific Garbage Patch etwa treiben Meeresströmungen sowohl Tiere als auch Plastik im selben Bereich zusammen. Vor Hawaii werden 100% der Fischlarven und 95% des treibenden Plastikmülls auf denselben 8% der Meeresoberfläche konzentriert.

Ausserdem haben sich Müllsammeltechniken als klimaintensive Prozesse erwiesen, da sie auf fossilen Brennstoffen beruhen. Studien haben berechnet, dass 200 Müllsammelanlagen auf Schiffen nicht ausreichen würden, um in 100 Jahren durchgehenden Betriebs die Meere zu säubern, wobei sie erhebliche Auswirkungen auf das Klima hätten.

„Diese Clean-Up-Projekte scheinen für die Öffentlichkeit und für Entscheidungsträger sehr verlockend zu sein. Wäre eine so einfache Lösung nicht grossartig? Einfach mit einer Art Staubsauger durch die Meere zu fahren und sonst „business as usual“ zu betreiben? In der Realität sind solche Technologien aber ineffizient, teuer, nur eine Scheinlösung und überdies eine Gefahr für die marine Tierwelt“, erklärt Ewoud Lauwerier, Plastik Policy Experte bei OceanCare.

Die bekannteste Initiative ist The Ocean Cleanup (TOC), die eine Maschine entwarf, um den Great Pacific Garbage Patch aufzuräumen. Geplant war, pro Woche zwischen 9.900 und 14.900 Kilo Müll zu sammeln, aber es wird geschätzt, dass die tatsächliche Menge 3,7- bis 5,5-fache niedriger ist als erwartet.

Umweltorganisationen und Wissenschaftler zeigen sich auch besorgt über TOCs Auswirkungen auf Meerestiere. So wurden etwa als Beifang von TOCs Hochsee-Reinigungsaktionen im Jahr 2020 Meeresschildkröten (auch gefährdete Arten), Haie sowie verschiedene Fisch- und Tintenfischarten gemeldet.

Anlass zu Spekulationen über Verbindungen zur Plastikindustrie gaben frühere finanzielle Unterstützungen etwa durch den saudischen Petrochemiekonzern und Polymerproduzent SABIC, den niederländischen Plastikerzeuger DSM sowie durch aktuelle Investoren wie Coca-Cola, das schon mehrere „Preise“ als weltweit grösster Plastikverschmutzer erhalten hat. Siehe TOC-Jahresbericht 2018 und 2019.

„Diese Clean-Up-Techniken sind ein prächtiges Werkzeug für die Plastikindustrie, um vom eigentlichen Problem abzulenken. Daher wundert es nicht, wenn man sich anschaut, wer die grössten Geldgeber sind“, sagt Lauwerier und ergänzt: „Die Plastikproduktion ist der Plan B der Ölindustrie. Bis 2050 wird eine Verdreifachung der Plastikproduktion prognostiziert. Am einfachsten kann die petrochemische Industrie der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen, indem sie sie glauben macht, erfinderische Technologien würden für alles eine schnelle und einfache Lösung bringen. Das Paradigma, jeder könne wie gehabt weitermachen, wird uns aber auf den Kopf fallen. Die Dinge sind auch im Fall der Plastikverschmutzung komplex und es gibt schlicht keine simplen Patentlösungen.“

Weiterführende Informationen

Environmental Investigation Agency (EIA): Wir ermitteln und kämpfen gegen Umweltkriminalität und -missbrauch. Wir setzen uns für den Schutz der globalen Meeresökosysteme ein. Unsere internationale Plastik-Kampagne zielt darauf ab, ein internationales rechtsverbindliches Abkommen über die Kunststoffverschmutzung zu erreichen, dass die Produktion und den Gebrauch von Plastik deutlich reduziert, Kunststoffprodukte sicherer macht und verhindert, dass Kunststoffabfälle und schädliche Chemikalien in unsere Körper und unsere Umwelt gelangen. Lesen Sie: The Italian Job: How Myanmar timber is trafficked through Italy to the rest of Europe despite EU laws

OceanCare setzt sich seit 1989 weltweit für die Meerestiere und Ozeane ein. Mit Forschungs- und Schutzprojekten, Umweltbildungskampagnen sowie intensivem Einsatz in internationalen Gremien unternimmt die Organisation konkrete Schritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Weltmeeren. Seit Juli 2011 ist OceanCare vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen als Sonderberaterin für den Meeresschutz anerkannt. Ausserdem ist OceanCare Partnerorganisation des Regionalen Fischereiabkommens des Mittelmeers (GFCM), des Abkommens für wandernde Tierarten (CMS), des Abkommens zum Schutz der Wale und Delfine im Mittelmeer (ACCOBAMS) sowie von UNEP/MAP. Seit 2021 ist OceanCare auch bei der Convention on Biological Diversity (CBD) und bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) als Beobachterin akkreditiert. Zudem ist OceanCare von der UNEA, dem höchsten Verwaltungsgremium des UN-Umweltprogramms (UNEP), als ‚Major Group Science & Technology‘ akkreditiert und Teil der UNEP Global Partnership on Marine Litter.

EIA-Podcast: Warum können wir uns nicht auf Technologie verlassen, um die Ozeane von Plastikmüll zu befreien?

Im EIA-Podcast diskutieren Ewoud Lauwerier, Plastic Policy Expert bei OceanCare, und Jacob Kean-Hammerson, EIA Ocean Campaigner, gemeinsam mit Paul Newman, EIA Senior Press and Communications Officer, über die Ergebnisse und Auswirkungen des neuen, gemeinsam erstellten Berichts „Clean-ups or clean-washing? How plastic pollution clean-up technology can actually harm the environment and obstruct policy progress“.