Nicolas EntrupLeiter Internationale Zusammenarbeit
Der positive Wertewandel in der Beziehung zwischen Mensch und Wal wird von einer kleinen nationalistisch agierenden Lobby unterwandert.
Wertewandel im Wal-Kampf
Right Whale. Der richtige Wal. Ein Koloss mit bis zu 18 Metern Länge und 90 Tonnen Gewicht. Ihr englischer Name verweist auf die Tatsache, dass diese Walart langsam schwimmt und nach Harpunierung auf der Oberfläche treibt – sie waren also aus Sicht der Walfänger die «richtigen», leicht zu erbeutenden Wale. Im Deutschen werden sie als Glattwale bezeichnet, wobei die Wissenschaft heute drei unterschiedliche Glattwalarten kennt – im Nordatlantik, im Nordpazifik und auf der südlichen Hemisphäre. Bereits im Jahr 1935 galten die Glattwale als kommerziell ausgerottet, das heisst, ihre Zahl war so gering, dass man die Meeresriesen kaum noch aufspüren konnte und ihre Bejagung kommerziell nicht mehr lukrativ war. Eine internationale Vereinbarung wurde getroffen und die Bejagung untersagt, auch wenn, wie sich Jahrzehnte später herausstellte, insbesondere die sowjetische Walfangflotte in den 1950er und 1960er Jahren Hunderte der verbliebenen Glattwale tötete.
Die Folgen des Walfangs waren für die Glattwale – und nicht nur für diese – dramatisch. Ihre Bestände haben sich kaum erholt. Im Gegenteil. Im Nordatlantik wird der Bestand auf weniger als 450 Tiere geschätzt, davon maximal 100 fortpflanzungsfähige Walkühe. Doch Wale vermehren sich langsam, sodass aktuelle Gefahren wie Kollisionen mit Frachtschiffen oder das Verfangen in Fischereigerät mehr Tiere töten als Nachkommen gezeugt werden und überleben. Die aktuelle Prognose? Wissenschaftler schätzen, dass der Glattwal im Nordatlantik 105 Jahre – also im Jahr 2040 – nach Inkrafttreten des Bejagungsverbotes de facto ausgestorben sein könnte. Ein Armutszeugnis für unseren Umgang mit Meeressäugern, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in die Herzen der Menschen schwammen.
Von der Industrialisierung zur Walfangolympiade
Vereinfacht kann man den Niedergang der globalen Walbestände mit dem Aufstieg der Industrienationen zeitlich gleichsetzen. Mit Dampf betriebene Schiffe ermöglichten es, die Meeresriesen in die entlegensten Gebieten bis an die Pole zu verfolgen. Die Erfindung explosiver Harpunen, durch die ein Sprengkörper im Körper des Tieres detonierte, machte den ungleichen Kampf noch ungleicher. Die Erfindung der Fetthärtung ermöglichte die Haltbarmachung und führte zur Spezialisierung der Flotten in Fangschiffe und Verarbeitungsschiffe.
Walprodukte dienten der Beleuchtung genauso wie der Herstellung von Speisefett, Farben, Seifen oder auch Sprengstoff. Heute verwundert es die Öffentlichkeit, dass zunächst gerade Japan in den 1930er Jahren die Einfuhr von Walöl und -fleisch untersagte, um die heimische Landwirtschaft zu schützen. Parallel dazu waren es die Nationalsozialisten, die Dutzende Fangboote und einige Fabrikschiffe in die Antarktis schickten, um an Fettreserven zu gelangen und damit Sprengstoff oder Waschmittel herzustellen.
Aus der Sicht der Wale führte diese Entwicklung und die damit einhergehende Vernichtung der langsam schwimmenden Glattwale zum Halali auf die schnelleren Furchenwale, die zwar schwieriger zu bejagen, von denen aber manche – wie Finn- und Blauwal – noch weit grösser waren. Allein in der Fangsaison 1930/31 verloren 30’727 Blauwale den ungleichen Kampf und weniger als 50 Jahre später galt auch diese Art als kommerziell ausgerottet und wurde unter strikten Schutz gestellt.
Nach dem 2. Weltkrieg und in der Zeit des Versuchs, internationale Diplomatie in globalen Fragen walten zu lassen, verhandelten die damaligen Walfangnationen im Jahr 1946 einen Internationalen Vertrag zur Regulierung des Walfangs. Die Internationale Walfangkommission (IWC) war gegründet. Die am Walfang beteiligten Staaten hatten allerdings nicht die Notwendigkeit des Schutzes der Meeresriesen erkannt, sondern vielmehr die Notwendigkeit, sich Fanggebiete und Fangquoten untereinander aufzuteilen. Es folgte die vielerorts auch als Walfangolympiade benannte Epoche der 1950er Jahre. Hunderttausende Meeresriesen liessen ihr Leben.
Vermittelte die Verfilmung des Romans Moby Dick die besessene Jagd eines Kapitäns auf hoher See nach dem gefährlichen, seltenen Seemonster, so war die reale Jagd ein ungleicher Kampf, den der Wal nie gewinnen konnte. Allein im Jahr 1950 wurde ca. 25.000 Pottwalen, den grössten Zahnwalen des Planeten, die Tatsache zum Verhängnis, dass sie zum Atmen an die Wasseroberfläche kommen müssen.
Es sollte noch Jahre dauern bis die Staatengemeinschaft beinahe im Kollektiv begriff, welch Schaden die Walfangflotten der Amerikaner, Australier, Brasilianer, Deutschen, Engländer, Isländer, Japaner, Koreaner, Niederländer, Norweger, Russen und vieler anderer Küstenstaaten anrichteten. Als in den 1970er Jahren die Walschutzbewegung entstand, waren von den sogenannten Grosswalen – gemeint sind die Bartenwale und einige wenige Zahnwalarten – lediglich die Zwergwale, die kleinsten Bartenwale, in grösserer Anzahl übriggeblieben. Ihre verhältnismässig geringe Grösse und Masse liess sie am Ende der Jagdliste stehen. Erkenntnisse engagierter Meeresforscher versetzte eine breite Öffentlichkeit in Staunen und im Einklang mit der Friedensbewegung begannen Menschen für ein Walfangverbot zu demonstrieren.
Meilenstein mit Schatten im internationalen Artenschutz
Im Jahr 1982 war es so weit. Die Internationale Walfangkommission (IWC) beschloss ein international gültiges Verbot des kommerziellen Walfangs, auch als Moratorium bekannt. Dieses trat im Jahr 1986 in Kraft und bewahrte zahlreiche Walarten vor der vollständigen Ausrottung. Aus der Begeisterung über die Sanftheit der Meeresriesen und die Gesänge der Buckelwale, sowie aus der steigenden Zahl faszinierender Informationen über Wale entstand eine neue Form der kommerziellen Nutzung der Wale: die Walbeobachtung.
Doch nicht alle Regierungen waren von dem stattfindenden Wertewandel und der internationalen Entscheidung überzeugt. Norwegen, Japan, Peru und die Sowjetunion legten ein Veto gegen das Moratorium ein. Peru und Japan widerriefen später den Einspruch, wobei Japan seither einen eigenen Passus des Vertrags zur Regulierung des Walfangs nutzt (Artikel VIII der ICRW: «special permit whaling») und Genehmigungen für die Fortsetzung des Walfangs erteilt, der seither als «wissenschaftlich» zu gelten hat. Nach einer Klage der australischen Regierung gegen das Walfangprogramm Japans entschied im Jahr 2014 der Internationale Gerichtshof, dass Japans Walfangprogramm nicht den Kriterien der Wissenschaftlichkeit entspricht und in dieser Form einzustellen ist.
Japans Regierung widersetzt sich diesem Urteil, legte das Programm neu auf und setzt die Waljagd im Nordpazifik und im Walschutzgebiet der Antarktis eigenmächtig fort. Island wiederum hatte zunächst das Moratorium anerkannt, den Walfang eingestellt und zehn Jahre später die IWC verlassen. Im Jahr 2002 trat der Inselstaat der IWC wieder bei, aber unter Vorbehalt gegen das Moratorium, wodurch ein internationaler Präzedenzfall geschaffen wurde. Wenig später nahm Island sowohl den wissenschaftlichen als auch den kommerziellen Walfang wieder auf, um im Jahr 2018 erneut in der Situation zu sein, auf Grund der nicht vorhandenen Nachfrage über Fortsetzung oder Einstellung des Walfangs zu beraten.
Norwegen setzt unbeirrt den kommerziellen Walfang fort, erteilt sich selbst Walfangquoten, die nicht auf Grundlagen des Wissenschaftsausschusses der Walfangkommission beruhen, auch wenn es im reichen Industriestaat kaum Absatz für die erlegten Zwergwale gibt. Fleisch wird Touristen angeboten, einige Teile werden in Pelzfarmen verfüttert, andere Teile werden von Zeit zu Zeit nach Japan exportiert, trotz bestehenden Handelsverbots mit Walprodukten. Wie das möglich ist, ist leicht beantwortet: Norwegen, Japan und Island haben gegen den Beschluss des Handelsverbotes mit Walprodukten einen Vorbehalt eingelegt.
Dem zahlenmässigen Schwund der Wale steht in den letzten Jahrzehnten der Zuwachs an Wissen über die Meeressäuger diametral gegenüber. Wissenschaftler versuchen die Kommunikation der Meeresriesen zu verstehen, Veröffentlichungen zu sozialem Lernen und Wissensvermittlung innerhalb kleiner sozialer Einheiten füllen wissenschaftliche Journale, man spricht von Walkulturen. Blutrausch weicht Faszination, könnte man meinen.
Gleichzeitig wissen wir mehr über die Auswirkungen der zahlreichen anderen Gefahren für die am Ende der marinen Nahrungskette stehenden Säuger. Unterwasserlärm, Veränderungen im marinen Ökosystem durch den Klimawandel, Überfischung, Beifang, Plastikverschmutzung und viele andere Gefahren, die in den Weiten der Ozeane herrschen, setzen den Walen zu. Jene Gefahr, die am einfachsten zu eliminieren wäre, haben wir in diesem Artikel beschrieben. Aus kommerziellem Interesse Wale zu fangen, scheint nicht mehr nachvollziehbar. Subsistenzielle Notwendigkeit ist lediglich bei einigen wenigen indigenen Ethnien gegeben und vertraglich im Abkommen festgehalten.
Weichenstellung als Spiegel umweltpolitischer Gesellschaftspolitik
Umso mehr verwundert ein Vorschlag Japans für die von 10. bis 14. September 2018 stattfindende Tagung der Internationalen Walfangkommission in Florianopolis, Brasilien: Unter dem Titel «A way forward» soll der kommerzielle Walfang legalisiert werden. Ein weiterer Vorschlag Verbündeter Japans stellt kommerziellen Walfang als Mittel zur Bekämpfung des Hungers dar. Die kommerziellen Walfangaktivitäten Islands und Norwegens finden auf der Agenda der IWC-Tagung hingegen keine Beachtung.
Bleibt die Frage, ob der internationalen Staatengemeinschaft so knapp vor der kompletten globalen Umsetzung einer der grössten Errungenschaften des Artenschutzes – eines weltweit gültigen kommerziellen Walfangverbots – die Kraft und der Wille ausgehen und sie den wenigen nationalen Interessen nachgibt, die an einer Praxis festhalten wollen, die heute weniger Legitimation hat denn je? Der in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Staaten und Regionen erfolgte Wertewandel in der Beziehung zwischen Mensch und Wal ist als gesellschaftspolitische Errungenschaft zu werten, die aktuell durch Interessen kleiner nationalistisch agierender Lobbys gefährdet wird.