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CIT-Rettungsnetzwerk für Walhaie: Hoffnung für gestrandete Riesen

27. September 2022

In Venezuela stranden immer wieder Walhaie, häufig nachdem sie sich in Fischernetzen verfangen haben. Früher wurden solche Tiere von der Bevölkerung wegen ihres Fleisches oder ihrer Flossen getötet. Das Haiforschungszentrum Centro para la Investigación de Tiburones (CIT) arbeitet mit lokalen Fischern und Tauchern zusammen, um dies zu ändern und die Tiere zu retten.

Walhaie sind friedliche Riesen, die sich von Plankton und kleinsten Meerestieren ernähren. Ihre Bestände sind heute durch Fischerei, Meeresverschmutzungen und weitere menschliche Aktivitäten bedroht, die Weltnaturschutzunion IUCN stuft den Walhai als stark gefährdet ein. Walhaie pflanzen sich langsam fort, da sie erst ab einer Grösse von 7 – 9 Metern (Männchen) oder 9 – 10 Metern (Weibchen) geschlechtsreif werden. Ihre Population kann sich also nur langsam von Verlusten erholen. Deshalb ist jedes Tier wichtig, um die weltweit grösste Fischart zu erhalten.

CIT: Forschung und Schutz von Haien und Rochen in Venezuela

Das Haiforschungszentrum CIT in Venezuela ist eine wissenschaftliche Einrichtung und wird seit 2017 von OceanCare unterstützt. Gegründet wurde die Organisation 1993 von Dr. Rafael Tavares Vizcaya, einem Pionier auf dem Gebiet der Erforschung von Haien und Rochen in der Karibik, als kleines Projekt im Los-Roques-Archipel. Dieses umfasst mehr als 300 Inseln und Riffe und ist mit seinen Mangroven-Wäldern eine der wichtigsten «Hai-Kinderstuben» der Region. Mittlerweile hat sich das CIT zu einer Referenz für die Pflege und den Schutz von Haien und ihren Ökosystemen in Venezuela und der Karibik entwickelt. Durch sein internationales Bildungsprogramm Caribbean Sharks bildet es Studenten in neun südamerikanischen Ländern aus und ist mit Universitäten und anderen Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene verbunden.

Das Ziel der Organisation war und ist es, wissenschaftliche Informationen über Haie und Rochen in der Region zu sammeln und Strategien für den Schutz der Tiere zu entwickeln. Ein effektiver Schutz gelingt allerdings nur, wenn alle Akteure zusammenarbeiten. Das CIT bündelt deshalb die Bemühungen von Tauchern, Fischern, Reiseveranstaltern, Gemeinden und Forschenden. Dank seiner wissenschaftlichen Arbeit wurde der Haifischfang im Los-Roques-Archipel aufgrund seiner Bedeutung als Aufzuchtgebiet verboten. Ausserdem wurde ein dauerhaftes Verbot für den Fang sieben bedrohter Haiarten im gesamten Staatsgebiet erlassen.

Strandungsnetzwerk für Walhaie

Nicht nur Wale und Delfine können stranden und dadurch in Lebensgefahr geraten. Auch Walhaie, die maximal bis zu 20 Meter lang und 42 Tonnen schwer werden können, finden sich gelegentlich in einer solchen Notlage. Zum Beispiel, wenn sie sich in Fischernetzen verheddert haben. Wird den Tieren dann nicht schnell geholfen, verenden sie elendiglich. An den venezolanischen Küsten wurden in den letzten Jahren jeweils mehrere solche Ereignisse beobachtet.

Um die Tiere zu retten, braucht es ein Engagement an mehreren Fronten: Zum einen begann das CIT mit dem Aufbau eines professionellen Strandungsnetzwerks für Walhaie. Dafür werden Jahr für Jahr Workshops für Studierende, Fischer, Mitarbeitende von Tauchstationen sowie Vertreter des Umweltministeriums und lokaler Tierschutzorganisationen veranstaltet. Diese sollen grundlegendes Wissen über Walhaie und Rettungsmassnahmen bei Strandungen vermitteln. Ausserdem wurde ein standardisiertes Rettungsprotokoll erarbeitet und getestet. Mittlerweile ist das Strandungsnetzwerk mit drei Ortsgruppen etabliert, die mit Rettungsmaterial ausgerüstet sind. Es ist damit das weltweit grösste Strandungsnetzwerk für Walhaie.

Erfolgsfaktor Aufklärung

Zum anderen ist aber auch die Aufklärung der Bevölkerung für den Erfolg des Projekts unabdingbar. Denn in der Vergangenheit wurden gestrandete Walhaie oft getötet, ihre Flossen teuer verkauft und ihr Fleisch gegessen. Deshalb beleuchtet das CIT in seinen Workshops jeweils auch die wichtige Rolle der Haie in marinen Ökosystemen. Ausserdem zeigt die Organisation auf, wie die Präsenz dieser faszinierenden Meeresgiganten im Rahmen eines sanften Ökotourismus für Mensch und Tier sinnvoll genutzt werden kann.

Diese Tourismusaktivitäten können alternative Einnahmequellen für Fischer sein, was Anreize schafft, die Walhaie zu schützen. Die Sensibilisierung von Fischern und Vertretern von Küstengemeinden sowie das Vermitteln von Wissen zur Rettung von Walhaien trägt Früchte. So konnte das CIT nachweisen, dass Walhai-Tötungen seit Beginn des Programms in Venezuela markant zurückgegangen sind. Auch während des Lockdowns erwies sich der Erfolg: Als CIT-Mitarbeitende nicht ausrücken konnten, retteten Private eigenständig Walhaie und sammelten sogar wissenschaftlich relevante Daten.

Da die Problematik jedoch nicht nur auf Venezuela beschränkt ist, arbeitet CIT mittlerweile an einer Ausweitung der Programms. 2018 legte das Haiforschungszentrum mit einem Workshop zur wissenschaftlichen Beobachtung von Walhaien in Trinidad den Grundstein für eine Erfassung der Walhaibestände in der Karibik. Gleichzeitig soll die Aufklärungs- und Rettungskampagne, die in Venezuela durch das CIT erfolgreich lanciert wurde, auch in anderen karibischen Ländern, in denen Walhaie vorkommen, aufgebaut werden.

Bedrohte Kinderstube: Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern

Nicht nur für Walhaie sind die venezolanischen Gewässer ein wichtiger Lebensraum. Insbesondere die Mangrovenwälder im Los-Roques-Archipel beheimaten unzählige Meerestiere und dienen als Kinderstube für mehrere Haiarten, darunter Bullenhaie, Zitronenhaie und Schwarzspitzenhaie. Dieses fragile Ökosystem ist jedoch bedroht. Denn in Venezuela häufen sich Vorkommnisse, bei denen das Meer mit Öl verschmutzt wird. Im Naturschutzgebiet Los Roques gingen so in den letzten Jahren mehrere Quadratkilometer Mangrovenwald verloren. Mit der Unterstützung von OceanCare lancierte das Haiforschungszentrum CIT deshalb das Projekt «Shark Nursery Areas» für die Wiederaufforstung.

Das Ziel ist, innerhalb von 5 Jahren alle Mangrovenwälder wiederherzustellen, die in den letzten 20 Jahren durch Ölverschmutzungen geschädigt wurden. Beraten wird das ehrgeizige Projekt von den renommiertesten Mangrovenforschern Venezuelas. Für das Aufforstungsprogramm hat die venezolanische Regierung im Naturschutzgebiet zwei Mangroven-Baumschulen bewilligt.

Einheimische sammeln unter Anleitung von CIT Saatgut, pflanzen Mangrovensetzlinge und überwachen ihr Wachstum. Auf diese Weise bindet die Organisation die lokale Bevölkerung und besonders die örtlichen Schulen im Mangrovenprojekt ein und sensibilisiert diese für den Meeresschutz. 2021 wurde das Projekt sogar erweitert: Auf dem Festland wurde beim venezolanischen Institut für wissenschaftliche Forschung (Instituto Venezolano de Investigaciones Científicas) eine Baumschule eingerichtet und soll der Erforschung der Mangroven dienen.

Dank OceanCare geht das Engagement weiter

Dass das Haiforschungszentrum CIT trotz anhaltender Krisen seine Arbeit weiterführen kann, verdankt es neben engagierten Mitarbeitenden vor Ort auch OceanCare. Denn seit die Krise in Venezuela 2013 begann, haben nicht nur mehrere Millionen Menschen das Land verlassen – darunter auch Forschende des CIT. Es gingen auch die wichtigsten ursprünglichen Geldgeber der Organisation in Konkurs.

Seit 2017 leistet OceanCare deshalb einen Grossteil der Finanzierung für die CIT-Aktivitäten. So trägt OceanCare auch wesentlich zu Projekten wie dem Strandungsnetzwerk für Walhaie und der Wiederaufforstung der Mangrovenwälder in Los Roques bei. Die Zusammenarbeit der beiden Organisationen, die sich beide auch im internationalen Netzwerk «People Not Poaching» engagieren, ist deshalb ein wichtiger Grundstein für den Schutz der Haie in Venezuela.