Laetitia NunnyWissenschaftliche Konsulentin

Unechte Karettschildkröten haben bereits in der Vergangenheit an der spanischen Mittelmeerküste gebrütet, allerdings nicht im aktuellen Ausmass.

Story

Schildkrötensommer in Spanien: viele neue Nistplätze identifiziert

28. September 2023

Im Sommer 2023 haben Schildkröten im Mittelmeerraum an ungewöhnlichen Orten genistet. Das ist eine Entwicklung, die für den Schutz und die Erhaltung der Schildkröten relevant ist und mit dem Klimawandel zusammenhängen könnte. Es werden neue Massnahmen entwickelt, um die Tiere in allen Lebensstadien zu schützen.

Dieser Sommer war für Schildkrötenforscher in Spanien eine arbeitsreiche Zeit, denn an den Küsten des Landes gab es eine noch nie dagewesene Anzahl von Schildkrötennestern. Bei der betroffenen Art handelt es sich um die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta), die in der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN als „gefährdet“ aufgeführt ist und deren Populationen weltweit rückläufig sind. Da die Gewässer und Strände des westlichen Mittelmeers immer wärmer werden, kommen die Schildkrötenweibchen in Spanien von Andalusien im Süden bis Katalonien im Norden an Land, um ihre Eier abzulegen.

Allein in diesem Sommer wurden 27 Nester gezählt, was die grösste Anzahl ist, seit 2001 an der spanischen Küste das erste Nest einer Unechten Karettschildkröte entdeckt worden war. Es besteht Grund zur Annahme, dass es sich dabei um einen Trend handeln könnte, der in irgendeiner Weise durch den Klimawandel bedingt ist. Sollte dies der Fall sein, würde dies zeigen, dass die Schildkröten anpassungsfähiger sind als bisher angenommen. Die nistenden Weibchen, die Nester und die Jungtiere sind an den Stränden durch Störungen und menschliche Eingriffe gefährdet und müssen sorgfältig überwacht und geschützt werden.

Nistverhalten der Schildkröten

Nach der Paarung begeben sich die Weibchen der Unechten Karettschildkröte analog anderen Meeresschildkröten zu einem Niststrand, um ihre Eier abzulegen. Es ist in der Regel der Strand, an dem sie selbst geschlüpft sind. Die Mutterschildkröte bewegt im Schutz der Dunkelheit aus dem Meer hinaus an den Strand, wo sie mit ihren Hinterflossen ein tiefes Loch in den Sand gräbt. In dieses Loch legt sie ihre runden, weichschaligen Eier. Die Grösse eines Geleges kann stark variieren, im Durchschnitt sind es rund 100 Eier. Nachdem die Schildkröte das Nest mit Sand bedeckt hat, zieht sie sich wieder ins sichere Meer zurück.

Unechte Karettschildkröten an der spanischen Küste

Unechte Karettschildkröten haben bereits in der Vergangenheit an der spanischen Mittelmeerküste gebrütet, allerdings nicht im aktuellen Ausmass. Im Sommer 2023 wurden 27 Nester gezählt, auch an Orten, an denen Schildkröten noch nie zuvor genistet haben, sowie in unmittelbarer Nähe menschlicher Aktivitäten. Es gab 10 Nester in Katalonien, 8 in Valencia, 2 in Murcia, 2 in Andalusien und 5 auf den Balearen. Möglicherweise gab es weitere Nester, die nicht identifiziert wurden. Zwischen 2010 und 2022 waren auf dem spanischen Festland und den Balearen insgesamt 38 Nester gezählt worden, was deutlich macht, wie besonders die Situation 2023 ist. Es wird sich zeigen, ob dieser Trend anhält.

Warum aber haben so viele Schildkrötenweibchen die spanische Küste zum Nisten gewählt? Das hat mit der Temperatur zu tun. In der Vergangenheit waren die Strände in Spanien zu kalt. Jetzt aber, wo die Temperaturen im westlichen Mittelmeer steigen, führen wärmere Gewässer und Strände dazu, dass die Weibchen der Unechten Karettschildkröte für die Eiablage in diesem Gebiet bleiben.

Schildkrötennester schützen

Der Schutz der Schildkröten ist in Spanien ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem Wissenschaftler, die Polizei, Stadtverwaltungen, freiwillige Helfer und die Bevölkerung eng zusammenarbeiten. Es gilt sicherzustellen, dass die Weibchen ungestört ihre Nester graben und ihre Eier ablegen können. Vom Tag der Eiablage an dauert es etwa zwei Monate, bis die kleinen Schildkröten aus den Eiern schlüpfen. Während dieser Zeit müssen die Nester beschützt und überwacht werden.

Bei einer gefährdeten Art ist jedes Nest, jedes Ei und jedes geschlüpfte Jungtier besonders wertvoll. Elena Abella und Irene Alvarez de Quevedo arbeiten für das BETA-Technologiezentrum der Universität Vic in Katalonien und setzen sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der CRAM-Stiftung dafür ein, dass die Nester der Unechten Karettschildkröte entlang der katalanischen Küste geschützt, überwacht und untersucht werden. Damit stellen sie sicher, dass die Schildkrötenbabys beim Schlüpfen beste Überlebenschancen haben. „Es war eine echte Überraschung, dass es in diesem Sommer so viele Nester der Unechten Karettschildkröte an unseren Stränden gab. Nur eines von tausend geschlüpften Jungtieren erreicht das Erwachsenenalter. In Katalonien setzen wir alles daran, die Tiere zu unterstützen, indem wir dafür sorgen, dass die Nester während der Brutzeit gut geschützt sind“, sagt Elena.

„In diesem Jahr haben wir in Spanien eine Rekordzahl von Nestern verzeichnet. In Italien wurden sogar über 400 Nester identifiziert – ebenfalls ein Rekord! Angesichts der Veränderungen, die wir im Ökosystem beobachten, wozu auch die steigenden Temperaturen zählen, ist es wahrscheinlich, dass es in den kommenden Jahren mehr Schildkrötennester im westlichen Mittelmeer geben wird. Es ist daher wichtig, dass wir lernen, unsere Strände mit Schildkröten zu teilen, und zu verstehen, dass Strände Lebensräume für geschützte Arten sind und nicht nur Orte, die wir in unserer Freizeit geniessen“, fügt Irene hinzu.

OceanCare unterstützt die Erforschung und Rettung von Schildkröten

Seit vielen Jahren engagiert sich OceanCare im Rahmen Unterstützung der Partnerorganisationen Alnitak und Equinac für die Erforschung und Rettung von Schildkröten im Mittelmeer. Alexander Sánchez-Jones von Alnitak hat diesen Sommer ebenfalls Veränderungen in der Verteilung von Schildkröten und auch anderer Arten festgestellt: „Um die Balearen haben wir weniger Schildkröten, Risso-Delfine und Pottwale gesichtet. Wir können spekulieren, dass dies mit den höheren Temperaturen der Meeresoberfläche zu tun hat, es aber nicht mit Gewissheit sagen. Wir haben Unechte Karettschildkröten gesichtet und festgestellt, dass es mehr Jungtiere zu geben scheint als in vergangenen Jahren. Diese Beobachtung auf See wurde durch das örtliche Netzwerk für gestrandete Schildkröten bestätigt, das 2023 weniger und kleinere Schildkröten gefunden hat. In herrenlosem Fischereigerät haben sich weniger Schildkröten verfangen als in den Vorjahren. Der Rückgang der Schildkrötensichtungen in Kombination mit der grösseren Zahl nistender Schildkröten machen 2023 zu einem seltsamen Jahr und macht deutlich, wie wichtig es ist, weiterhin Daten zu sammeln, damit wir verstehen können, was passiert.“

Weltweit unterstützt OceanCare die Rettung von Meeresschildkröten mit der von ihr mitgegründeten Sea Turtle Rescue Alliance (STRA). Die Allianz hat sich zum Ziel gesetzt, globale Rettungskräfte und Rehabilitationszentren, die sich um Meeresschildkröten kümmern, zu vernetzen und zu stärken. Auf den Malediven unterstützt OceanCare zudem das Rettungszentrum des Olive Ridley Projects.

Was ist zu tun, wenn Sie eine Schildkröte sehen?

Wenn Sie eine erwachsene Schildkröte am Strand sehen, könnte es sich um ein nistendes Weibchen handeln:

  • Informieren Sie die Behörden (in Spanien unter der Nummer 112, in Italien unter 1530 oder per WhatsApp oder SMS an ++39 (0)349 2100989).
  • Berühren Sie die Schildkröte nicht.
  • Machen Sie keine Fotos mit Blitz oder Videos mit Licht.
  • Leuchten Sie die Schildkröte nicht an.
  • Vermeiden Sie, dass die Schildkröte Sie sieht.
  • Halten Sie Abstand.

Wenn Sie Baby-Schildkröten am Strand sehen:

  • Informieren Sie die Behörden (in Spanien unter 112, in Italien unter 1530 oder per WhatsApp oder SMS an ++39 (0)349 2100989) und befolgen Sie deren Ratschläge.
  • Machen Sie keine Fotos mit Blitz oder Videos mit Licht.

Wenn Sie Schildkrötenspuren im Sand sehen:

  • Informieren Sie die Behörden (in Spanien unter 112, in Italien unter 1530 oder per WhatsApp oder SMS an ++39 (0)349 2100989).
  • Treten Sie nicht auf die Spuren.

Wenn Sie eine Schildkröte im Meer sehen:

  • Stören Sie das Tier nicht.
  • Wenn die Schildkröte verletzt ist oder sich in Fanggeräten verfangen hat, alarmieren Sie die Behörden (in Spanien unter 112, in Italien unter 1530).
  • Versuchen Sie nicht, verhedderte Flossen freizuschneiden. Dies muss durch eine Fachperson erfolgen.

Wenn Sie Geisterfanggeräte (verlorene oder weggeworfene Fanggeräte) im Mittelmeer sehen:

Quellenangaben und weitere Informationen

Folgen Sie der Organisation Caretta a la Vista! (Schildkröte in Sicht!) auf Instagram @carettaalavista oder besuchen Sie deren Webseite.

YouTube-Video: Caretta a la Vista… call 112! (Englisch).

OceanCare-Tipps für respektvolles Beobachten von Meerestieren.

Casale and Tucker (2017) Caretta caretta. The IUCN Red List of Threatened Species 2017. https://www.iucnredlist.org/species/3897/119333622

Hochscheid et al. (2020) Nesting range expansion of loggerhead turtles in the Mediterranean: Phenology, spatial distribution, and conservation implications. Glob. Ecol. Conserv. 38: e02194.

Miller et al. (2003) Nest Site Selection, Oviposition, Eggs, Development, Hatching, and Emergence of Loggerhead Turtles. In: Bolten and Witherington (eds.) Loggerhead Sea Turtles. Smithsonian Press: Washington, DC, USA, pp. 125–143.