Nicolas EntrupLeiter Internationale Zusammenarbeit

Trotz zahlreicher Vorteile kommt die Geschwindigkeitsreduktion in der Schifffahrt nur langsam voran.

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Schiffskonzern reduziert Fahrtgeschwindigkeit um Wale zu schützen

19. Februar 2023

Zweifellos wird – oder zumindest sollte – der technische Fortschritt praktische Lösungen für gesamtgesellschaftliche Probleme und globale Herausforderungen beisteuern. Dies gilt auch für die beiden drängendsten Krisen unseres Planeten: Klimawandel und Biodiversitätsverlust. Gleichzeitig wissen wir, dass technischer Fortschritt alleine nicht ausreicht, um diese Probleme zu lösen, und dass er nicht der einzige Lösungsansatz sein kann. In Bezug auf die genannten Krisen müssen wir daher breiter und praxisnah denken. Und nicht selten liegen sehr wirksame Massnahmen griffbereit vor uns und sind viel einfacher anzuwenden, als man erwarten würde.

Das gilt ganz besonders für die Schifffahrt. Sie transportiert den allergrössten Teil der internationalen Handelsgüter und hat daher einen entsprechenden ökologischen Fussabdruck. Die Verbrennung fossiler Treibstoffe stösst Luftschadstoffe und Treibhausgase aus; die Kavitationen der Propeller verursachen massiven Unterwasserlärm; Routen mitten durch Aufzucht- oder Nahrungsgebiete grosser Meerestiere führen zu Unfällen, die für die gerammten Tiere meist tödlich enden; und diese Liste liesse sich lange fortsetzen.

Technische Lösungen alleine werden nicht ausreichen

So lange wie die Liste ist, so viele unterschiedliche Massnahmen gegen jede einzelne dieser schädlichen Auswirkungen auf Umwelt, Ozean und Meerestiere kann man finden. Viele davon werden technischer Art sein: Propellerfunktion, Schiffsdesign, Art der Lackierung, klimaneutrale Treibstoffe, was auch immer. Meist sind die Kosten hoch und die Umsetzung wird meist Jahre dauern. Aber was, wenn es eine praktische Lösung gibt, die man noch heute anwenden könnte und die den ökologischen Fussabdruck fast ohne Kosten verkleinern würde? Und diese gibt es tatsächlich: Die Reduktion der Fahrtgeschwindigkeit von Schiffen – das sogenannte «Slow Steaming» – bringt vielfache Umweltvorteile mit sich.

Die positiven Effekte des Slow Steaming wurden vielfach belegt und infolge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 auch schon einmal einige Jahre lang breit angewendet. Die dritte Studie der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) über Treibhausgase fasst es so zusammen: «Die Flottenaktivität von 2007 bis 2012 zeigt, dass verbreitet Slow Steaming angewendet wurde. Die durchschnittliche Geschwindigkeitsreduktion auf See gegenüber der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit betrug 12% und der tägliche Treibstoffverbrauch sank um 27%. Viele Schiffstypen und Grössenklassen übertrafen diese Werte. Bei manchen Öltanker-Grössenklassen betrug der Minderverbrauch an Treibstoff 50% und einige Containerschiff-Grössenklassen verminderten ihren Energieverbrauch um mehr als 70%.» Sobald die Krise aber hinter uns lag, schraubte die Branche das Tempo rasch wieder in die Höhe, und so nahm auch der Unterwasserlärm in den Weltmeeren überall weiter zu, z.B. in europäischen Gewässern zwischen 2014 und 2019 um das Doppelte.

Neue Studie bestätigt Temporeduktion in der Schifffahrt reduziert Unterwasserlärm

Die Veröffentlichung einer neuen wissenschaftlichen Studie ist oft eine gute Gelegenheit, ein bestimmtes Phänomen näher zu betrachten. Hier also eine vom Januar 2023: «Large-Scale Simulation of a Shipping Speed Limitation Measure in the Western Mediterranean Sea: Effects on Underwater Noise». In dieser Publikation kommt eine Gruppe französischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Geschwindigkeitsbegrenzung eine wirksame Massnahme gegen Unterwasserlärm aus der Schifffahrt ist. Der grösste Effekt wurde bei einer Temporeduktion auf 10 Knoten über tiefen Gewässern ermittelt.

Das klingt doch nach sehr guten Neuigkeiten. Ein weiterer Umstand rückt diese Erkenntnisse in ein noch positiveres Licht. Das Gebiet der wissenschaftlichen Simulationsrechnung im nordwestlichen Mittelmeer ist Teil eines Meeresgebiets, das vier Staaten – Frankreich, Italien, Monaco und Spanien – als Particularly Sensitive Sea Area (PSSA) nominiert haben. Dieser Vorschlag wurde bereits grundsätzlich angenommen, braucht aber noch einen formellen Beschluss bei der nächsten Sitzung des Umweltausschusses (MEPC) der IMO, die im Juli 2023 stattfinden wird. Das PSSA hat einen klaren Fokus: das Risiko zu vermindern, dass die Finnwale und Pottwale, die hier leben, von Schiffen gerammt werden. Ein grosser Teil des Untersuchungsgebietes der Lärmstudie wurde auch bereits als besonderes wichtiger Lebensraum für die beiden Grosswalarten (Important Marine Mammal Area – IMMA) ausgewiesen.

Von Schiffen gerammt zu werden, ist für die Finn- und Pottwale in dieser Region der grösste einzelne Gefährdungsfaktor. Anders als in anderen Gebieten lässt der wissenschaftliche Kenntnisstand über Verbreitung und Lebensraumnutzung dieser grossen Meeressäuger keine klare Schlussfolgerung zu, wie die Schifffahrtsrouten verlegt werden müssten, um das Kollisionsrisiko zu minimieren. Aber es gibt eine andere Methode, die sich bereits bewährt hat: Tempo reduzieren! Die Fahrtgeschwindigkeit der Schiffe auf ca. 10 Knoten zu drosseln, wäre das wirksamste Mittel, damit gefährdete Tiere nicht tödlich verwundet werden, und würde – siehe oben – zugleich eine zweite Gefahr für Finnwale, Pottwale und andere Meerestiere spürbar reduzieren: den Unterwasserlärm.

Internationales Schifffahrtsunternehmen reduziert Fahrtgeschwindigkeit und verlegt Schifffahrtsroute, um Wale zu schützen

Und es gibt noch mehr gute Nachrichten: Fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung der erwähnten wissenschaftlichen Erkenntnisse erklärte Stolt-Nielsen, der weltgrösste Betreiber von Chemie-Tankern, die Fahrtgeschwindigkeit in drei Meeresregionen zu senken und in einer weiteren die Fahrtroute zu verlegen. Diese Entscheidung folgte aus einem Konsultationsprozess über Massnahmen gegen das Risiko, gefährdete Wale zu rammen.

Die Massnahmen im Detail:

  • Die Fahrtroute südlich von Sri Lanka wird um 15 Seemeilen südwärts verschoben, um ein wichtiges Blauwalgebiet zu umfahren.
  • Die Fahrtgeschwindigkeit wird in folgenden Gebieten um 20% von 12,5 auf 10 Knoten gesenkt: im nordwestlichen Mittelmeer zum Schutz von Finn- und Pottwalen; rund um Vancouver Island zum Schutz von Orcas; und vor der US-Ostküste zum Schutz von Nordkapern und Buckelwalen.

Das Unternehmen hält dabei auch fest, dass die Verminderung der Fahrtgeschwindigkeit ihrer Schiffe auch die Unterwasserlärm-Emissionen reduzieren und damit zur Erreichung des UNO-Nachhaltigkeitsziels 14 (Leben unter Wasser) beiträgt.

Wenn ein so grosser Akteur diese Massnahmen ergreifen kann, fragt man sich: Warum machen das nicht andere auch und warum ist es so schwierig, eine Einigung der Regierungen in der zentralen UN-Organisation, der IMO, zu erreichen? Es drängt sich auch die Frage auf, warum die Massnahmen, die die zuvor erwähnten vier Staaten mit der Ausweisung des nordwestlichen Mittelmeers als PSSA vorgeschlagen haben, die einzige wissenschaftlich belegte Massnahme nicht enthalten: ein verpflichtendes Tempolimit oder zumindest eine bestimmte Geschwindigkeitsreduktion je nach Schiffskategorie.

Faire Wettbewerbsbedingungen und Meeresschutzbestimmungen gehen Hand in Hand, wenn …

Wenn Massnahmen nur auf Freiwilligkeit beruhen, führt das – wie die aktuelle Situation zeigt – schlichtweg nicht zu den erwünschten bzw. erforderlichen Ergebnissen. Letztendlich braucht es verpflichtende Massnahmen, wie z.B. eine verpflichtende Temporeduktion im Nordwestlichen Mittelmeer, um das Kollisionsrisiko für Grosswale wirksam zu reduzieren und gleichzeitig faire Wettbewerbsbedingungen für alle Schifffahrtsunternehmen zu schaffen. So kann auch gewährleistet werden, dass Unternehmen, die zur Verkleinerung ihres ökologischen Fussabdrucks bereit sind, keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden.

Es ist unbestritten, dass es zahlreiche Umweltvorteile bringt, die Fahrtgeschwindigkeit der Schiffe zu verringern. Unter den verfügbaren betrieblichen Massnahmen ist Temporeduktion erwiesenermassen die kosteneffizienteste Möglichkeit, um Umweltauswirkungen der Schifffahrt – die Emissionen von Treibhausgasen, von Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid, Stickoxiden und Russ, sowie von Unterwasserlärm – sehr deutlich zu vermindern, und das mit sofortiger Wirkung.

Wenn wir es also nicht um der Wale oder um des Meeresökosystems willen machen wollen, dann vielleicht zugunsten der Gesundheit der Menschen? Oder um dem Klimawandel entgegenzuwirken, der unsere gesamte Existenz bedroht?

Sagen wir es so: Es ist dringend geboten, die Treibhausgasemissionen aus der Schifffahrt zu reduzieren – einem Sektor mit einem weltweiten Ausstoss von mehr als 1 Milliarde Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr, der aktuell der grösste Nachzügler im Dekarbonisierungsprozess ist. Und es gibt eine sehr wirksame Massnahme, die dazu beitragen würde und umgehen umgesetzt werden könnte. Sie haben richtig geraten: die Fahrtgeschwindigkeit reduzieren.

 

Die Autoren:
Nicolas Entrup, Director International Relations, OceanCare
Carlos Bravo, Ocean Policy Expert, OceanCare