Hat «Moby Dick» eine Zukunft im östlichen Mittelmeer?
Höchstens 200 bis 250 Pottwale leben heute noch im östlichen Mittelmeer. Alarmierende Hinweise des von OceanCare unterstützten Pelagos Cetacean Research Institute lassen befürchten, dass sich die Population in den vergangenen 10 bis 15 Jahren bereits auf 110 bis 150 Tiere reduziert hat. Die grösste Gefahr für die bedrohten Tiere sind Schiffskollisionen durch die rund 30 000 Frachtschiffe, die ihren Lebensraum, den Hellenischen Graben, jedes Jahr mit hoher Geschwindigkeit durchqueren.
Der Hellenische Graben, der sich vom Ionischen Meer bis südlich von Kreta und zum Meer von Rhodos erstreckt, ist ein besonders wichtiger Lebensraum für Pottwale. Dieser Tiefsee-Canyon bietet den Pottwalen gute Bedingungen für die Nahrungssuche. Das Gebiet ist entsprechend als wichtiges Meeressäugergebiet (IMMA) für Pottwale auf globaler Ebene ausgewiesen. Jedoch wird diese Region von intensiv befahrenen Schiffsrouten gekreuzt.
Wenn jedes Auftauchen zur Todesfalle wird
Pottwale tauchen bis zu 20-mal am Tag in Tiefen von 600 bis 1 000 Meter oder noch tiefer, um Tiefseekalmare zu jagen. Jeder Tauchgang kann 45 bis 60 Minuten dauern und in dieser Zeit erzeugen die Wale mit der Luft in ihren Nasenhöhlen sogenannte «Klicks», regelmässig wiederholte Biosonarsignale zur Lokalisierung der Beute. Am Ende eines Tauchgangs kommen die Tiere erschöpft zurück an die Meeresoberfläche, wo sie sich 10 bis 15 Minuten erholen müssen, bevor sie erneut abtauchen können. Wenn während dieser Zeit ein grosses Schiff durch das Gebiet fährt, drohen die Tiere gerammt oder vom Schiffspropeller verletzt zu werden.
Mehr als die Hälfte der Pottwale, die tot an griechische Küsten gespült werden, sind Zusammenstössen mit Schiffen zum Opfer gefallen. Die meisten durch Kollisionen mit Schiffen getöteten Tiere stranden gemäss Wissenschaftlern jedoch nicht, sondern sinken ungesehen auf den Meeresboden. Da Schiffskollisionen die grösste Gefahr für die Pottwale im östlichen Mittelmeer darstellen, verfolgt OceanCare drei entscheidende Massnahmen zum Schutz der Tiere: Primär sollen die Schiffe das sensible Gebiet umfahren und auch ihr Tempo reduzieren. Wo und wenn eine Umfahrung nicht möglich ist, soll das von OceanCare entwickelte Lokalisierungs- und Frühwarnsystem «Save Moby» komplementär die Lücke schliessen.
Erste bedeutende Erfolge im Dialog mit Schifffahrtsunternehmen
Im Rahmen einer Koalition mit dem IFAW, dem Pelagos Cetacean Research Institute und dem WWF Griechenland bündelt OceanCare Energien und tritt an Schifffahrtsunternehmen heran, um diese von einer Umfahrung des Lebensraumes der Pottwale zu überzeugen. Dem Vorschlag zugrunde liegen konkrete Empfehlungen für Schifffahrtsrouten und das Knowhow jahrelanger Pottwalforschung in der Region. Mit ersten wichtigen Erfolgen.
Im Januar 2022 beschloss die weltgrösste Reederei, die Mediterranean Shipping Company (MSC), ihre Fahrtrouten entlang der Westküste Griechenlands zu verlegen, um die Wale vor Kollisionen zu schützen. Weitere Unternehmen, wie z.B. Euronav, sind dem Beispiel von MSC bereits gefolgt.
Im Juni 2022 veröffentlichte der Verband Deutscher Reeder (VDR) als erster nationaler Reedereiverband seine offizielle Empfehlung an seine 150 Mitgliedsunternehmen, ihre Schiffsrouten aus dem Lebensraum der Pottwale zu verlegen.
Neben Frachtschiffen müssen Geschwindigkeitsreduktion und Routenverlegung auch für andere grosse Schiffe wie RoRo-Fähren und Kreuzfahrtschiffe angewendet werden. Dazu ruft OceanCare die griechische Regierung auf, ihren internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Pottwale nachzukommen und die Regelungen zu erlassen, um entsprechende Routenverlegung für alle Schiffsunternehmen verbindlich einzufordern. Ein solcher Vorschlag muss an die IMO übermittelt und dort angenommen werden.
Foto: Pelagos Cetacean Research Institute