Neue Studie: Wissenschaftsbasierte Schutzmassnahmen für Wale und Delfine in der Adria dringend erforderlich
Eine aktuell im Wissenschaftsmagazin Acta Adriatica veröffentlichte Publikation beleuchtet den vergangenen und gegenwärtigen Erhaltungszustand von Wal- und Delfinarten in der Adria. In diesem Artikel dokumentieren die Wissenschaftler das geringe Vorkommen einiger Arten, zeigen die grössten vom Menschen ausgehenden Gefahren auf und empfehlen gezielte Schutzmassnahmen. Die internationale Meeresschutzorganisation OceanCare betrachtet diese Publikation als fundierten Weckruf, um die Renaturierungsmassnahmen und Schutzbemühungen zu intensivieren und weiteren Biodiversitätsverlust zu verhindern.
Kernpunkte:
- Die Adria, Lebensraum mehrerer Wal- und Delfinarten, darunter Streifendelfine und Grosse Tümmler, ist eine der weltweit am stärksten überfischten Regionen und intensiver Schleppnetzfischerei ausgesetzt.
- Im 19. und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden tausende Delfine gezielt getötet.
- Der Bestand des Gewöhnlichen Delfins ist dramatisch eingebrochen und hat sich bis heute nicht erholt.
- Der menschliche Nutzungsdruck auf diesen Teil des Mittelmeers ist extrem hoch, so das Ergebnis einer neuen wissenschaftlichen Studie, die in der Zeitschrift Acta Adriatica veröffentlicht wurde.
- OceanCare greift die Schlussfolgerungen der Autoren auf und fordert wissenschaftsbasierte Massnahmen, sodass das Überleben und die Bestandserholung aller Wal- und Delfinpopulationen in der Adria gesichert wird.
Die Adria ist seit langem einer der Regionen des Mittelmeers, die menschlicher Zerstörung am stärksten ausgesetzt sind. Die Folgen sind verminderte Artenvielfalt und geschwächte Ökosysteme. Kann man in einer derart übernutzten Meeresregion eine vielfältige Waltierfauna erwarten? Und wie viele Wal- und Delfinarten könnten hier vorkommen, genügend Nahrung finden und sich fortpflanzen?
Eine neue wissenschaftliche Veröffentlichung beantwortet diese Fragen ausführlich. Erstautor Giovanni Bearzi, ein Pionier der Erforschung von Delfinen in der Adria, erläutert warum die Vielfalt der Wal- und Delfinarten in der Adria relativ gering ist: „Wale und Delfine waren und sind in der Adria vielen Gefahren ausgesetzt: Lebensraumzerstörung, Beifang in der Fischerei, Nahrungsverknappung, Lärm (z.B. durch seismische Öl- und Gasprospektion), chemische Verschmutzung, die Folgen des Klimawandel und viele mehr“. Bearzi sieht in der Fischerei die Haupt-Triebkraft für die Zerstörung der Adria: „Dieses Meer wird seit der Antike befischt. Heute ist die Adria eine der am intensivsten befischten Regionen weltweit und der Zustand ihres Meeresbodens ist besonders schlecht.“
Intensive Bejagung von Delfinen in der Adria im 20. Jahrhundert
Der Wissenschaftsartikel geht auf den vergangenen und aktuellen Zustand der in der Adria heimischen oder auch nur zeitweise gesichteten Arten ein. Zum Beispiel war der Gewöhnliche Delfin (Delfinus delphis) in der Adria einst zahlreich, auch in der weniger tiefen nördlichen Adria. Diese Zeiten sind vorbei. Bearzi erklärt: „Früher galten Delfine als Schädlinge und wurden vielerorts als vermeintliche Konkurrenten um den Fisch getötet. In der Adria wurden von den Fischereibehörden regelrechte Ausrottungskampagnen betrieben. Diese Tötungen erfolgten mehr als 100 Jahre lang und wurden erst in den 1960ern beendet.“ Abertausende Delfine wurden vorsätzlich getötet. In den 1990er Jahren gab es praktisch keine Gewöhnlichen Delfine mehr in der Adria. Und die neuesten wissenschaftlichen Daten zeigen, dass ihre Zahl immer noch sehr gering ist. Als Gründe für die ausbleibende Erholung der Art gelten Nahrungsmangel aufgrund der Überfischung sowie Lebensraumverschlechterungen.
Mehr Waltierarten im südlichen Teil der Adria
Heute ist der Grosse Tümmler (Tursiops truncatus) die einzige Delfinart, die in der nördlichen Adria regelmässig anzutreffen ist. Nach Süden hin – in den tieferen Gewässern der mittleren Adria und den viel grösseren Tiefen der südlichen Adria – nimmt die Artenzahl zu. Die häufigste Art ist hier der Streifendelfin (Stenella coeruleoalba), dessen Vorkommen aber auf die tiefen Bereiche der südlichen Adria beschränkt ist. Gleiches gilt für den Rundkopfdelfin (Grampus griseus) und den Cuvier-Schnabelwal (Ziphius cavirostris), die aber weit weniger zahlreich sind. Finnwale (Balaenoptera physalus) und Pottwale (Physeter macrocephalus) treten im Süden gelegentlich auf und können auch andere Teile der Adria durchstreifen. Einige weitere Arten sind in sehr geringer Zahl vorhanden oder nur gelegentliche Besucher.
Renaturierung des marinen Ökosystems als Ziel
Was sollte unternommen werden, um das langfristige Überleben dieser prächtigen Meeressäugetiere zu sichern? Mitautor Giuseppe Notarbartolo di Sciara, eine globale Autorität im Wal- und Delfinschutz, meint: „Den alleinigen Fokus auf das Unterbinden weiterer Populationsrückgänge und das Aussterben bestimmter Arten zu legen, ist nicht mehr genug. In unserem Artikel zeigen wir, wie vielfältig und reichhaltig die Waltierfauna in der Adria war, und in der Renaturierung sollte auch das Ziel des Naturschutzes bestehen. Letztlich müssen die Schutzbestrebungen darauf abzielen, dass Wal- und Delfinpopulationen in einem Umfeld gedeihen können, in dem die marinen Nahrungsnetze revitalisiert und die Gesundheit und Reichhaltigkeit der Meere so weit wie möglich der vorindustriellen Zeit angenähert werden. Mit besonderer Dringlichkeit sollte dieses Ziel in jenen Regionen verfolgt werden, die von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) als Important Marine Mammal Areas (IMMA) identifiziert wurden.“
Die vier Autoren (die beiden Genannten sowie Silvia Bonizzoni und Tilen Genov) sind sich völlig darüber im Klaren, dass die Menschheit weit davon entfernt ist, diese Renaturierungsziele zu erreichen, und schon gar nicht in einer so schwer geschädigten Meeresregion wie der Adria. Aber sie bieten Empfehlungen als Richtschnur für die Massnahmen, die im Einklang mit geltendem Recht und den eingegangenen Selbstverpflichtungen zum Schutz der marinen Biodiversität ergriffen werden müssen.
Können Meeresschutzgebiete ein Teil der Lösung sein?
In der Adria sind diese leider äusserst klein und wurden nicht zum Schutz von Tieren mit grossem Aktionsradius geschaffen. Neben den Meeresschutzgebieten wurden an der italienischen und der kroatischen Küste auch einige Natura-2000-Gebiete eingerichtet. Aber wie Tilen Genov, Präsident der slowenischen Meeressäugergesellschaft Morigenos, sagt: „Selbst unter der Annahme, dass sowohl in den Meeresschutzgebieten als auch in den Natura-2000-Gebieten Schutzmassnahmen wirksam umgesetzt würden, wäre deren räumliche Ausdehnung für die Bedürfnisse der Wale und Delfine bei weitem zu gering.“
Nicolas Entrup von der internationalen Meeresschutzorganisation OceanCare betont die Wichtigkeit, das bestehende Naturschutzrecht und die Entscheidungen internationaler Wal- und Delfinschutzabkommen (z.B. ACCOBAMS) umzusetzen, hält aber ebenso eine grössere Zahl an Sperrgebieten für die Fischerei (FRA) für nötig. In diesen von der General Fisheries Commission for the Mediterranean (GFCM) eingerichteten Gebieten sind alle oder bestimmte Fischereiaktivitäten zeitweilig oder dauerhaft verboten oder eingeschränkt. In der Adria sind die „Jabuka Pomo Pit FRA“ und das Verbot von Schleppnetzen und Dredges in mehr als 1000 m Wassertiefe wichtige Beispiele für Massnahmen, von denen sowohl die Meeresökosysteme (inklusive Wale und Delfine) als auch die Fischerei profitieren. „Auf der anderen Seite ist es äusserst beunruhigend, dass mehrere Regierungen (und ein grosser Teil des Europäischen Parlaments) sich dem Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Beendigung der Grundschleppnetz-Fischerei in Meeresschutzgebieten entgegengestellt haben. Das ist das Gegenteil dessen, was getan werden sollte. Der Aktionsplan muss dringend umgesetzt werden“, sagt Entrup.
Silvia Bonizzoni fasst zusammen: „Um der Wal- und Delfinfauna der Adria ihre ursprüngliche Lebendigkeit zurückzugeben und ihr langfristiges Überleben zu sichern, müssten alle Bestandteile des marinen Ökosystems wiederhergestellt und der Übergang von einer jahrzehntelangen Phase der Übernutzung und Schädigung zu einem verantwortungsvollen Management vollzogen werden. Solch ein ehrgeiziges Ziel würde voraussetzen, dass sich die Öffentlichkeit und die Institutionen der Kosten der Umweltzerstörung bewusst sind und die Vorteile einer ausgewogenen Beziehung zur Natur auf breiter Ebene anerkannt werden.“
Publikation
Autoren:
- Giovanni Bearzi, Präsident, Dolphin Biology and Conservation, Italien
- Silvia Bonizzoni, Geschäftsführerin, Dolphin Biology and Conservation, Italien
- Tilen Genov, Präsident, Morigenos – Slovenian Marine Mammal Society, und Ass. Prof. an der Universität Primorska, Slowenien
- Giuseppe Notarbartolo di Sciara, Gründer und Ehrenpräsident des Tethys Research Institute, Ko-Vorsitzender der IUCN Marine Mammal Protected Areas Task Force