Medienmitteilung

OceanCare-Bericht macht deutlich: Maßnahmen gegen die zerstörerische Schleppnetzfischerei sind überfällig

23. Oktober 2024

Im Vorfeld der Entscheidung über die neue EU-Kommission im Europäischen Parlament veröffentlicht OceanCare einen umfassenden Bericht, der die EU-Mitgliedsstaaten auffordert, ihren Verpflichtungen nachzukommen und die Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten (Marine Protected Areas, MPAs) bis 2030 zu verbieten.

  • Die Grundschleppnetzfischerei ist eine der destruktivsten Fischereimethoden – sie verursacht erhebliche ökologische Schäden an den Lebensräumen und der Artenvielfalt im Meer.
  • Das globale Ausmaß der Zerstörung durch die Grundschleppnetzfischerei ist enorm und trägt zum Verlust der biologischen Vielfalt, zum Zusammenbruch von Ökosystemen und zur Klimakrise bei.
  • EU-Mitgliedstaaten müssen unverzüglich handeln, um die Ziele des EU-Fischereiaktionsplans zu erreichen, die besagen, dass die Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten (Marine Protected Areas, MPAs) bis 2030 zu beenden ist; auch auf globaler Ebene besteht dringender Handlungsbedarf.

Da die Welt bei der Umsetzung der Agenda 2030 insgesamt und insbesondere bei jener des Nachhaltigkeitsziels SDG 14 “Leben unter Wasser“ in Verzug ist, ist die Dringlichkeit zu Handeln größer denn je. Wenn die Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten nicht verboten wird, gefährdet dies nicht nur die Gesundheit der Meeresökosysteme, sondern auch die globalen Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt.

„Die Umweltschäden durch die Grundschleppnetzfischerei sind weltweit gut dokumentiert“, sagt Giovanni Bearzi, Meeresschutzexperte und Hauptautor des OceanCare-Berichts. „Seit dem 14. Jahrhundert ist bekannt, dass diese Art der Fischerei zerstörerisch ist. Unser Bericht fasst die Beweise zusammen, dass die Grundschleppnetzfischerei nach wie vor eine grundsätzlich destruktive Praxis ist.“

„Unzählige wissenschaftliche Studien aus jahrzehntelanger Fischereiforschung haben die destruktiven Eigenschaften der Grundschleppnetzfischerei dokumentiert und zeigen, dass sie Meereslebewesen und Ökosystemen erheblichen Schaden zufügt. Die Grundschleppnetzfischerei reduziert die Biomasse, Vielfalt und Komplexität der am Meeresboden lebenden Organismen. Die Auswirkungen der Schleppnetze auf den Meeresboden verursachen dramatische mechanische und chemische Veränderungen, die die Funktionalität und Produktivität des Meeresbodens beeinträchtigen. Zusätzlich zu den Zielarten fangen die meisten Schleppnetzfischer auch unerwünschte Arten wie gefährdete Knorpelfische, Meeresschildkröten, Seevögel und Meeressäuger“, so Bearzi weiter.

Der Bericht von OceanCare mit dem Titel „The Trawl Supremacy: Hegemony of Destructive Bottom Trawl Fisheries and Some of the Management Solutions“ bietet eine detaillierte Analyse der schädlichen Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf Meereslebewesen und marine Lebensräume. Der Bericht fasst wissenschaftliche Forschungsergebnisse zusammen, die zeigen, dass die Grundschleppnetzfischerei die biologische Vielfalt dezimiert, die Komplexität der Ökosysteme am Meeresboden verringert und sogar den Klimawandel verschärft, indem sie den in den marinen Sedimenten gespeicherten Kohlenstoff freisetzt. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit sofortiger Maßnahmen auf EU-Ebene und auch global, um die Ozeane zu schützen und eine nachhaltige Fischerei zu sichern.

„Es steht viel auf dem Spiel“, ergänzt Nicolas Entrup, Leiter für Internationale Zusammenarbeit bei OceanCare. „Mit der bevorstehenden Ernennung der neuen EU-Kommission wird es entscheidend sein, den Weg zur vollständigen Umsetzung des Fischereiaktionsplans weiterzugehen. OceanCare ruft die bisher zögerlichen EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, den Widerstand gegen das Verbot der Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten zu beenden und entsprechende Maßnahmen zur Zielerreichung voranzutreiben. Gleichzeitig fordern wir dringend globale Maßnahmen, die im Rahmen der im Juni 2025 stattfindenden UN-Ozeankonferenz und der regionalen Fischereiorganisationen zu treffen sind. Die Grundschleppnetzfischerei hat keinen Platz in einer Welt, die selbst gesteckte Ziele zum Schutz der Meere erreichen will.“

„Die Fischmengen, die durch die Grundschleppnetzfischerei gefangen werden, können nicht länger die weitreichenden Schäden rechtfertigen, die sie den marinen Ökosystemen und den kleinen Fischergemeinden zufügen. Diese Art der Fischerei ist schlicht nicht nachhaltig. OceanCare fordert den Einsatz weniger zerstörerischer Fanggeräte, die Abschaffung schädlicher Fischereisubventionen und ein sofortiges Verbot der Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten. Auch die strikte Durchsetzung von Schutzmaßnahmen ist entscheidend. Langfristig kann dies dazu führen, dass die Meeresökosysteme gesünder, vielfältiger und widerstandsfähiger werden, was lokalen Fischergemeinschaften zugutekommt“, fügt Entrup hinzu.

Im Vorfeld der 3. UN-Ozeankonferenz, die im Juni 2025 im französischen Nizza stattfinden wird, hat OceanCare die Initiative „Because Our Planet is Blue“ ins Leben gerufen und einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, der das Potenzial hat, das Ruder im Meeresschutz herumzureißen. Der Aktionsplan beinhaltet auch die Forderung nach einem Verbot von zerstörerischen Fischereipraktiken wie der Grundschleppnetzfischerei. Er listet konkrete Maßnahmen, die eine gut geführte und nachhaltige Fischereipraxis sowie insgesamt gesündere und widerstandsfähigere Ozeane ermöglichen können.

Hintergrund

Der Begriff „Schleppnetzfischerei“ bezieht sich im Allgemeinen auf das aktive Ziehen eines Fischernetzes durch ein oder zwei Schiffe, die als Trawler bezeichnet werden. Wenn das Fanggerät den Meeresboden durchpflügt, spricht man von Grundschleppnetzfischerei. Trawler können kleine Boote, aber auch große Fabrikschiffe sein.

Grafik: Grundschleppnetzfischerei nach Kontinent: Wo der Fisch gefangen und wo er konsumiert wird
Grundschleppnetzfischerei nach Kontinent: Wo der Fisch gefangen und wo er konsumiert wird (OceanCare: The Trawl Supremacy, S. 24)
Fakten zur Schleppnetzfischerei
  • Von 2007 bis 2016 machte die Grundschleppnetzfischerei etwa ein Viertel der weltweiten Fischfangerträge aus.
  • Die jährlichen Fänge belaufen sich auf etwa 30 Millionen Tonnen, was in etwa dem Gesamtfang der weltweiten kleinstrukturierten , küstennahen Fischerei entspricht.
  • 10 Länder sind für 64% der weltweiten Grundschleppnetzfischerei verantwortlich.
    Grundschleppnetze haben die höchste Rückwurfquote aller Fischereipraktiken.
  • Die Adria ist eines der am stärksten von der Schleppnetzfischerei betroffenen Meere der Welt. Mehr als 70% ihres Meeresbodens wurden bereits mit Schleppnetzen gepflügt.
  • In 34 Ländern, vor allem in Afrika, wurden über 90 % der Grundschleppnetzfänge von ausländischen Schiffen getätigt.
Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf marine Ökosysteme

Die Grundschleppnetzfischerei gilt seit dem frühen 14. Jahrhundert als zerstörerische Fangmethode und wurde von den Fischergemeinden, die darin eine Bedrohung der Meeresressourcen und ihrer eigenen Lebensgrundlage sahen, oft abgelehnt. Heute gibt es zahlreiche überzeugende wissenschaftliche Belege dafür, dass die Grundschleppnetzfischerei die Fischereipraxis mit den größten negativen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme ist. So werden in Grundschleppnetzen in der Regel zwischen 20 und 50 Prozent der Wirbellosen, wie Garnelen, Schnecken, Krebse oder Seeigel, als Kollateralschaden getötet.

In vielen Gebieten, in denen intensiv mit Grundschleppnetzen gefischt wird, treten Ökosystemveränderungen oder sogar Regimewechsel (dramatische und anhaltende Veränderungen in der Struktur und Funktion von Ökosystemen) auf. So wurden beispielsweise Austernriffe – einst ein dominierendes dreidimensionales Merkmal der europäischen Küstengewässer – weitgehend ausgelöscht. Kaltwasserkorallenriffe vor Irland und Norwegen, die mindestens 4500 Jahre alt waren, wurden durch Schleppnetzfischerei zerstört. Auch wichtige Lebensräume wie Schwammriffe und Seegraswiesen wurden durch die diese Fischereipraktik stark geschädigt.

Beifang und Rückwürfe

Vom Beifang in Schleppnetzen sind alle sieben Meeresschildkrötenarten betroffen. Allein im Mittelmeer war die Grundschleppnetzfischerei zwischen 2000 und 2020 für den Tod von über 172.000 Meeresschildkröten verantwortlich. Der Beifang von Haien und Rochen in Schleppnetzen ist ein großes Problem für den Artenschutz, da er zu einem starken Rückgang dieser Knorpelfische führt. Aber auch Wale, Robben, Seevögel und bedrohte Fischarten sowie Seepferdchen, Korallen, Seesterne, Seegras und viele andere Arten sind vom Beifang betroffen.

Durchschnittlich 46 Prozent (bzw. 4,2 Mio. Tonnen) der jährlichen Gesamtrückwürfe der weltweiten Fischerei gehen auf das Konto der Grundschleppnetzfischerei, die damit die höchste Rückwurfrate aller Fanggeräte hat. Meerestiere, die nach dem Fang mit Schleppnetzen wieder ins Meer zurückgeworfen werden, machen in der Regel 20 bis 30 Prozent des Fangs aus. In einigen Garnelenfischereien sind es sogar 80 bis 90 Prozent.

CO2-Fußabdruck, Umweltverschmutzung und Lärm

Schiffe der Grundschleppnetzfischerei gehören nicht nur zu den Fischereifahrzeugen mit der geringsten Treibstoffeffizienz, da Treibstoff benötigt wird, um ein schweres Netz über den Meeresboden zu ziehen, sondern lösen auch jahrhundertealten Kohlenstoff aus Meeressedimenten und setzen diesen aus einem der wichtigsten langfristigen Kohlenstoffspeicher frei. Daher ist der CO2-Fußabdruck von Meeresfrüchten, die mit Grundschleppnetzen gefangen werden, besonders hoch.

Das Pflügen des Meeresbodens setzt auch an Partikel gebundene toxische Schadstoffe frei, die damit wieder in die marinen Nahrungsnetze gelangen können. So führten kontaminierte Sedimentwolken aus der Grundschleppnetzfischerei in einem norwegischen Fjord dazu, dass Muscheln nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet waren. In einigen Gebieten ist die Schleppnetzfischerei auch eine erhebliche Quelle für Unterwasserlärm.

Soziale Auswirkungen

Schleppnetzflotten können die Meeresressourcen, von denen die lokale Küstenfischerei lebt, erschöpfen und gefährden. Viele Küstenbewohner, die auf die Fischerei als Einkommensquelle und zur Ernährungssicherung angewiesen sind, sehen Konflikte mit industriellen Schleppnetzfischern als eine der größten Bedrohungen für ihr Wohlergehen. Die Erschöpfung lokaler Ressourcen kann zu sozialen und wirtschaftlichen Unruhen führen, die in der Regel mit Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten einhergehen.

Kann Grundschleppnetzfischerei nachhaltig sein?

Während die Gesamtanlandungen von Trawlern als stabil angesehen werden können (z.B. in Bezug auf die Biomasse), kann die Schleppnetzfischerei zu dramatischen Veränderungen im Ökosystem führen. Der Austausch von Meerestieren oder technologische Veränderungen können dazu beitragen, scheinbar konstante Fangmengen und Gewinne aufrechtzuerhalten. Ein großer Teil der ursprünglichen Artenvielfalt kann jedoch zerstört werden, da besonders widerstandsfähige Arten die für die Schleppnetzfischerei anfälligsten Arten ersetzen.

In der Adria zum Beispiel, einem der weltweit am stärksten von der Grundschleppnetzfischerei betroffenen Gebiete, in dem der Zustand des Meeresbodens besonders schlecht ist, sind die Schleppnetzfangmengen seit Jahrzehnten weitgehend stabil. Dies geschah jedoch erst, nachdem die vor allem durch die Schleppnetzfischerei verursachten Schäden zu grundlegenden Veränderungen geführt hatten: Gefährdete Arten verschwanden und ehemals artenreiche, dreidimensionale Lebensräume verwandelten sich in flache Ebenen, die weiterhin von Schleppnetzfischern ausgebeutet werden.

Managementlösungen

Zu den Managementmaßnahmen, die die Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei beseitigen oder abmildern können, gehören:

  • Änderungen an Ausrüstung und Verfahren, um schädliche Auswirkungen auf den Meeresboden zu verringern und Beifänge zu reduzieren;
  • Einschränkung oder vollständiges Verbot der Grundschleppnetzfischerei;
  • Umstellung der Schleppnetzfischerei, z.B. auf andere Fanggeräte oder andere Beschäftigungsformen.

Die Begrenzung der Schleppnetzfischerei kann erhebliche Vorteile für das Ökosystem mit sich bringen, die in einigen Fällen sogar die Vorteile übertreffen können, die sich aus der Ausweisung einer Meereszone als Schutzgebiet ergeben würden. Zu den Managementmaßnahmen, mit denen die Schleppnetzfischerei in die Schranken gewiesen werden kann, gehören lebensraumbezogene Einschränkungen (z.B. zum Schutz von Korallenriffen, Schwammriffen und Seegraswiesen), die Ausweisung von Schutzgebieten und die räumliche Beschränkung der Schleppnetzfischerei auf Gebiete, in denen die Schleppnetzfischerei bereits konzentriert ist.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass sich Meeresökosysteme erholen und regenerieren können, wenn Gebiete entweder vollständig vor Fischerei oder zumindest vor den destruktivsten Fischereimethoden geschützt werden. Die beste Vorgehensweise besteht darin, Gebiete mit komplexen Lebensräumen am Meeresboden für Schleppnetzfischerei zu sperren, bevor Schaden angerichtet wird. Schutzgebiete können einen wirksamen Beitrag zur Erhaltung leisten, aber sie sind nutzlos, wenn der Schutz vor Grundschleppnetzen nicht gewährleistet ist. So werden beispielsweise 60% der 727 offiziell ausgewiesenen Schutzgebiete in den europäischen Atlantikgewässern kommerziell mit Schleppnetzen befischt.

Ein positives Beispiel für ein gebietsbezogenes Management im Mittelmeer ist das Netz von Fischereisperrgebieten, das im Rahmen des Regionalen Fischereiabkommens für das Mittelmeer (GFCM) eingerichtet wurde und alle Meeresböden des Mittelmeers und des Schwarzen Meeres in einer Tiefe von mehr als 1000 Metern umfasst, in denen der Einsatz von Schleppnetzen verboten ist.

2023 hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan vorgeschlagen, um die Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten und Natura-2000-Gebieten im Einklang mit bestehenden Verpflichtungen und Anforderungen bis 2030 schrittweise einzustellen. Sie hat die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, entsprechende nationale Maßnahmen zu ergreifen.

Publiktation