Mark SimmondsLeiter Wissenschaft

Was oft nur dem Komfort unserer eigenen Art dient, kann für viele andere Arten tödlich sein.

Story

Wenn die Nacht zum Tag wird – ein wenig beachtetes Problem

12. Mai 2022

Hat Sie auch schon beim Blick in den Nachthimmel das Gefühl beschlichen, dass die Sterne verschwinden und dass sie irgendwie weniger leuchten als früher? Das ist nur eine Facette eines Phänomens, das eine erhebliche Bedrohung für Wildtiere darstellt und nun endlich stärker ins Bewusstsein kommt: Umweltverschmutzung durch Licht.

Wir beleuchten immer grössere Teile unseres Heimatplaneten. Auf Satellitenbildern gleissen unsere Städte in der nächtlichen Dunkelheit, unsere Strassen bilden leuchtende Schnüre, Fabriken, Denkmäler und Sportstadien sind hell erleuchtet und selbst auf dem offenen Meer sieht man Ölplattformen und Schiffe als Lichtpunkte. All dieses Licht dient unserem Komfort und unserer Sicherheit, aber vieles davon ist eigentlich unnötig und grosse Teile davon entweichen in die Umwelt.

Wir Menschen haben uns in der Evolution darauf eingestellt, am Tag aktiv zu sein. In der Nacht sehen wir bei weitem nicht so gut wie viele nacht- oder dämmerungsaktive Tiere mit ihren spezifischen Anpassungen. Im Dämmerlicht sieht Ihre Katze um ein Vielfaches besser als Sie. Und so bestrahlen wir unsere Häuser, Strassen und Arbeitsstätten mit künstlichem Licht, um unsere Arbeits- und Freizeitaktivitäten weit über den Zeitraum hinaus auszudehnen, den uns unsere physischen Fähigkeiten erlauben würden. Und Licht ist auch wichtig, um uns ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

Unser Aktivitätsrhythmus wechselt im wesentlichen zwischen Aktivität am (hellen) Tag und Ruhe in der (finsteren) Nacht. Dieser Wechsel ist wichtig für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Wir verfügen über innere physiologische Systeme, die unseren Tageszyklus steuern. Eine Erinnerung daran bekommen wir etwa bei Langstreckenflügen in ganz andere Zeitzonen, wo wir dann am Jetlag laborieren. Auch alle anderen Tiere haben innere «Uhren», die am natürlichen Lichtzyklus ausgerichtet sind. Es wird immer deutlicher, dass wir mit unnatürlichem Licht zu unnatürlichen Zeiten in ihr Leben eingreifen – mit erstaunlichen und gravierenden Folgen.

Zum Beispiel können Vögel, die nachts künstlichem Licht ausgesetzt sind, den Eindruck einer anderen Jahreszeit mit längerer Tagesdauer bekommen. Oder sie machen sich früher auf den Zugweg und kommen früher im Brutgebiet an, was sich negativ auswirken kann, wenn die benötigten Ressourcen dann noch nicht vorhanden sind.

Fledermäuse sind bekanntermassen nachtaktiv und ihre Aktivitäten können durch künstliches Licht gestört werden, etwa wenn eine Reihe an Strassenlaternen eine Barriere bildet.

Insekten, die für das normale Funktionieren unserer Landökosysteme essentiell sind, u.a. als Bestäuber vieler Pflanzen oder als Beute vieler grösserer Tierarten, sind weltweit im Rückgang begriffen und die Vermutung wird stärker, dass Lichtverschmutzung daran einen Anteil hat. Denken Sie nur an die vielen Insekten, die in einer lauen Sommernacht um eine Lichtquelle schwirren. Für uns schaut das vielleicht lustig aus, aber für sie kann es den Tod bedeuten.

Und was bedeutet Lichtverschmutzung für Meerestiere? Darüber gibt es noch weit weniger Studien als an Land, aber kürzlich wurde ein erster globaler Atlas der Lichtverschmutzung der Meere veröffentlicht, der zeigt, dass grosse Gebiete betroffen sind. Bis zu einer Tiefe von 1 m sind 1,9 Mio. km² Küstengewässer einer Lichtverschmutzung ausgesetzt, die sich auf die Lebewesen auswirkt. Die grössten Emittenten sind die rasch wachsenden Küstenstädte sowie Offshore-Anlagen.

Der vom Aussterben bedrohte Europäische Aal hat einen einzigartigen Lebenszyklus. Die geschlechtsreifen Tiere wandern aus den europäischen Flüssen bis in die Sargasso-See mitten im Atlantik, um dort für Nachwuchs zu sorgen. Da sie dabei dunkle Wanderrouten bevorzugen, könnten die künstlich beleuchteten Gebiete, die sie durchqueren müssen, ihre Migration stören.

Meeresschildkröten legen ihre Eier in der Regel an jenen Stränden ab, wo sie selbst geschlüpft sind. Künstliche Lichtquellen am Strand können dabei abschreckend wirken und die Dichte und Anordnung der Nester beeinflussen, da die Weibchen versuchen, ihre Nester in den dunkelsten Bereichen anzulegen. Wenn die Baby-Schildkröten dann schlüpfen und zum Meer streben, kann das künstliche Licht sie verwirren und in die falsche Richtung locken. Die nachts schlüpfenden Meeresschildkröten orientieren sich daran, dass es über dem seeseitigen Horizont heller ist als über dem Land. So finden sie zum Meer. In die Irre geleitet verlieren sie hingegen Energie, werden von Prädatoren erbeutet oder verschmachten am nächsten Tag in der Sonne. Das sind nur zwei Beispiele von vielen betroffenen Meerestierarten.

Die Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf Arten und Lebensräume verdienen definitiv grössere Beachtung.

Zusammengefasst

Was oft nur dem Komfort unserer eignen Art dient, kann für viele andere Arten tödlich sein. Jetzt, wo das Problem zunehmend anerkannt wird, beginnen etliche Länder und Regionen, Schritte gegen die Lichtverschmutzung zu ergreifen. Schon einfache Massnahmen, etwa die Lichtkegel nur dorthin zu richten, wo man sie braucht, oder unnötige Lichtquellen auszuschalten, können einen grossen Unterschied bewirken. Und auch wir selbst können davon profitieren: weniger unnötiges Licht, das unseren Schlafrhythmus stört, und – hoffentlich – in vielen Regionen die Rückkehr der Sterne in all ihrer himmlischen Pracht.

OceanCare schafft Aufmerksamkeit für die Lichtverschmutzung und ihre Auswirkungen auf aquatische Tierarten und setzt sich in internationalen Gremien aktiv dafür ein, dass Schutzmassnahmen entwickelt und ergriffen werden.

Quellen

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